Rezension: „Die Unschärfe der Welt“ von Iris Wolff

Titel: Die Unschärfe der Welt
Autorin: Iris Wolff
Verlag: Klett-Cotta

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar.

Inhalt:
„Hätten Florentine und Hannes den beiden jungen Reisenden auch dann ihre Tür geöffnet, wenn sie geahnt hätten, welche Rolle der Besuch aus der DDR im Leben der Banater Familie noch spielen wird? Hätte Samuel seinem besten Freund Oz auch dann rückhaltlos beigestanden, wenn er das Ausmaß seiner Entscheidung überblickt hätte? In »Die Unschärfe der Welt« verbinden sich die Lebenswege von sieben Personen, sieben Wahlverwandten, die sich trotz Schicksalsschlägen und räumlichen Distanzen unaufhörlich aufeinander zubewegen.“

Rezension

Dieser Roman steht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, der ich zwar selten Beachtung schenke, auf der sich aber dieses Jahr einige interessant klingende Titel befinden, die mich neugierig gemacht haben.

Das Setting

Wir befinden uns in Banat, einem Gebiet, das ehemals zu Rumänien gehörte und sich heute über drei Länder erstreckt. Der Ostblock befindet sich kurz vor dem Zusammenbruch, Angst und Verrat gehören zum Alltag und auch auf dem Land, wo diese Geschichte beginnt, ist das Unbehagen zu spüren.

So idyllisch der Ort, in dem die Familie lebt, die wir einen Teil ihres Weges begleiten, auch beschrieben wird – eine gewisse Bedrohung schlummert unter der Oberfläche, Gefahren und ein gewaltsames Ende von Leben lauern hinter jeder Ecke.

Die Figuren

Wir lernen in diesem Buch sieben Personen kennen, die entweder Familie sind oder zu dieser werden und die mehr als nur der gleiche Nachname verbindet. Es sind Menschen, deren Verbundenheit so eng ist, dass sie auch über zeitliche und räumliche Trennung nicht abreißt. Kein böses Wort fällt zwischen ihnen und doch kämpft jeder mit seinen eigenen Sorgen und Ängsten.

Der Antagonist ist hier die Zeit, die politische Phase, die durchlebt wird und der Umbruch, der sich nicht aufhalten lässt.
Es gibt darüber hinaus keine wirklich „Bösen“, sie alle haben einen guten Grund für ihr Handeln, den man als LeserIn sehr gut nachvollziehen kann.

Der Stil

Iris Wolff hat eine leise, aber unglaublich atmosphärische und dichte Geschichte geschrieben. Dieses Buch mag kurz sein, aber die Erzählung darin ist groß. Andeutungen und Auslassungen fordern die Leser dazu auf, ihre Phantasie zu nutzen, sich selbst auszumalen, was zwischenzeitlich passiert sein könnte, welche Auslöser dazu geführt haben, dass sich die Charaktere für die eine oder die andere Weggabelung entschieden haben.

Hinzu kommt, dass wir hier keinen echten Protagonisten haben, aus dessen Sicht wir das Geschehen beobachten können. Es wird zwischen den einzelnen Figuren gewechselt, dennoch setzt sich nach und nach ein Bild über die Familie und über Samuel zusammen.

Mein Leseeindruck

Mich hat dieser Roman im positiven Sinn überrascht! Anfangs war ich ausgesprochen skeptisch, weil Teile fehlten, weil alles ein wenig distanziert wirkte, aber je weiter ich las, umso mehr erkannte ich die Absicht dahinter.

Ich finde es einfach nur grandios, wie Iris Wolff Struktur, Perspektive und Wörter einsetzt, um eine gewisse Atmosphäre und eine Familiengeschichte vor den Augen der Leser entstehen zu lassen, sie mitnimmt, sie regelrecht beim Erzählen mitmachen lässt.

Ganz, ganz große Literatur! Ich hoffe, Iris Wolff erhält mit „Die Unschärfe der Welt“ den Deutschen Buchpreis. Verdient hätte sie ihn mit diesem Werk. Unbedingt lesen!

2 Antworten auf „Rezension: „Die Unschärfe der Welt“ von Iris Wolff

  1. Hallo Sonja,
    die Aussage: „Wir befinden uns in Banat, einem Gebiet, das ehemals zu Rumänien gehörte und sich heute über drei Länder erstreckt.“ stimmt nicht. Das Banat gehörte zur k.u.k. Monarchie, wurde nach dem Ersten Weltkrieg dreigeteilt: Rumänien, Ungarn, Jugoslawien.
    Grüße,
    Johann Lippet

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