Literaturkitsch

In der heutigen Onlineausgabe der „Zeit“ gibt es einen interessanten Artikel des Autors Samuel Hamen mit dem Titel „Literatur als Deko-Soap“.

Er macht darauf aufmerksam, dass es heutzutage kaum noch einen kritischen Umgang mit Literatur auf den sozialen Netzwerken gibt:

„Es ist ein fügsamer Umgang mit literarischen Werken, hinter dem eine weich gespülte Vorstellung davon steckt, zu was Literatur taugen kann. Neuerscheinungen werden für das Fotoshooting mal neben dampfende Teetassen drapiert, mal vor das Avocado-Pflänzchen gelegt, dessen zurechtgedüngtes Grün das Cover hübsch ergänzt.“

Ich bin seit 1995 online und es gab lange, lange nur die Feuilletons großer Zeitungen, die sich mit Literatur auseinandersetzten – mit anspruchsvoller Literatur auf einem anspruchsvollen Niveau.

Natürlich ist es wichtig, dass es auch einen kritischen Umgang mit kritischen Werken gibt, aber sind wir doch mal ehrlich: zu 80% – 90% werden unterhaltsame Bücher gelesen und darüber berichteten damals nur eine Handvoll Blogger.
Mittlerweile gibt es deutlich mehr Lesebegeisterte, die ihr Hobby online teilen und – meiner Meinung nach – das typische Leseverhalten sehr viel besser repräsentieren.

Herr Hamen hält dies zwar für begrüßenswert, sagt aber:

„Letztlich diskreditiert sich diese Bemühung aber oftmals selbst, indem sie ihren eigenen Gegenstand bis zur Stumpfheit verhätschelt und verhunzt.“

Was auch immer das bedeuten soll…

Was ist denn dabei, wenn man gute Unterhaltung in Szene setzt? Nicht jeder fühlt sich zu literarisch hochtrabenden Werken hingezogen und warum auch?  Kritisches Denken erfolgt nicht nur, indem man kritische Bücher liest. Tagtäglich werden wir mit schlechten Nachrichten bombardiert und mit der Frage konfrontiert: „Müssten wir das nicht besser machen?“ Wer hier nicht lernt, kritisch zu denken, dem helfen auch keine Bücher mehr…

Als ich so um die 20 Jahre alt war und das Internet noch nicht voller Fake News war, habe ich tatsächlich zu gedruckten Werken gegriffen, um mein Denken herauszufordern. Heutzutage bin ich mehr als froh, wenn ich für ein paar Stunden all dem Wahnsinn und der Informationsflut entfliehen kann. In Zeiten wie diesen sind Bücher meine Wellnessoase und ich habe nichts dagegen, wenn ich mein kritisches Denken nur für einen Moment unterbrechen und in eine Welt entfliehen kann, die mir eine Atempause und Erholung verspricht.

Auch Herr Haman sieht dies prinzipiell so:

„In beiden Fällen ist das literarische Buch nicht mehr die Waffe, mit der falsches oder sinnwidriges Denken gesprengt wird. Es ist die Watte, mit der wir uns in den Schlaf tupfen, das Deko-Accessoire, mit dem Likes und Distinktion angehäuft werden, das achtsame Hobby-Arrangement, mit dem wir uns in wohltuender Selbstgefälligkeit über die Zeit und die Schrecken hinwegtrösten.“

Meine Antwort darauf lautet: „So what?“.
Bücher haben für jeden eine andere Bedeutung und einen anderen Wert. Was genau ist verwerflich daran?
Ich finde es absolut in Ordnung, dass Bücher der Alltagsflucht dienen und als Seelentröster eingesetzt und entsprechend präsentiert werden.

Und ein wenig frage ich mich, was Herr Haman mit seinem Artikel eigentlich bezwecken möchte? Eigentlich sagt er nur – in viele kluge Worte verpackt – dass man auf Instagram & Co. viele ungewöhnlich drapierte Druckwerke sieht. Dass allein das einen Rückschluss auf einen unkritischen Umgang mit Literatur zulässt, belegt er in keiner Weise.

Meiner Meinung nach ist es ein sehr aussageloser Artikel – viel heiße Luft hübsch und natürlich hochtrabend formuliert verpackt.

7 Antworten auf „Literaturkitsch

  1. Ich denke, ich verstehe schon ein bißchen, worauf er hinaus will…
    Gerade bei Instagram hat man ja das Buch oft wie ein Accessoire in Szene gesetzt. Wenn dann gar keine Auseinandersetzung mit dem Inhalt kommt wirkt das dann auch eher wie ein Requisit.
    Ich setze meine Bücher ja für meine Besprechungen auch gerne in Szene, einfach weil so das Auge der Leser hängen bleibt, weil es eine Stimmung vermittelt, etc.
    Aber natürlich ist der Inhalt für mich genauso wichtig.
    Hier in den Blogs ist das auch immer eine gute Mischung finde ich, aber bei Instagram zum Beispiel hat man oft das Gefühl, daß ein Buch mit einem hübschen Schal, einer coolen Sonnenbrille, oder ähnlichem gleichgesetzt wird.

    1. Ja, aber das stört mich wenig. So bin ich auch schon auf Bücher gestoßen, die ich sonst übersehen und vielleicht nie gelesen hätte ;-)

  2. Er hat schon Recht, dass viele Instagram & Co. Feeds vielleicht nicht unbedingt für einen „bewussten“ und kritischen Umgang mit Literatur stehen, aber immerhin schaffen sie überhaupt ein Bewusstsein für Bücher und zwar für viele verschiedene und ganz unterschiedlicher Genres. Und das ist in Zeiten, wo ein Großteil der Menschen lieber vor der Glotze hängt doch schonmal was :) Es ermöglicht einem neue Bücher zu entdecken und sich dann eine eigene Meinung drüber zu bilden.
    Ich weiß daher auch nicht genau, was er mit diesem Artikel bezwecken will. Außerdem sind Bücher doch auch einfach etwas Schönes – warum sie also nicht als Foto-Objekt nutzen? Ist jetzt auch jeder, der stolz auf sein Bücherregal ist und es gerne in der Wohnung „präsentiert“, ein oberflächlicher Leser?! Und warum darf Lesen denn nicht gemütlich sein? Ich sehe ein Buch bestimmt nicht kritischer nur weil ich den Kräutertee und die Schmusedecke dazu weglasse…
    Und er sagt es ja selber: Lesen ist ein Hobby und Buchblogger schreiben nicht professionell für ein Feuilleton – eben! Und da gebe ich dir Recht: wir haben genug schlechte oder einfach nur „reale“ Nachrichten zu lesen, mit denen man sehr kritisch umgehen muss…Wenn wir jetzt auch noch unser Hobby zu harter Arbeit machen, in der wir jeden zwischendurch geknabberten Keks als Pause aufschreiben müssen, dann liest bald keiner mehr – außer die, die es beruflich tun, womit wir wieder beim Unterschied von Blog und Feuilleton wären. Und zum Hobby Lesen gehört für mich (und ich würde mich durchaus als kritische Leserin bezeichnen) auch mal ein Heißgetränk und eine Kuscheldecke :D
    Und Blogs in einem Atemzug mit „nur Instagram“ zu nennen finde ich auch sehr verallgemeinernd. Auf Instagram finden sich ja auch nicht meine vollständigen Rezensionen… vielleicht sollte Herr Hamen das eher als Bücher-Werbung sehen…

    1. Es muss ja auch nicht jeder kritisch mit Literatur umgehen. Gibt ja noch genug andere, die das tun. Und vermutlich verdienen einge Instagramler mehr Geld für ihre Buchfotos als die Autoren mit dem Schreiben der Bücher ;-) Ich fand den Ton allgemein etwas arrogant. Soll doch jedem sein Ding lassen.

  3. Ich finde es nicht verwerflich, Bücher in Szene zu setzen. Wir leben in einer Welt, die immer stärker auf visuelle Reize ausgelegt ist – das gilt vor allem auch für das Internet. Bei vielen Bloggern merkt man aber auch, dass sie die Fotos bewusst gestalten, sei es, dass sie Accessoires aussuchen, die zum Inhalt des Buches passen, oder seine Stimmung einzufangen versuchen.

    „Kritisch“ kann man sich immer noch in einer Rezension mit dem Buch auseinandersetzen – wenn man das möchte.

    Liebe Grüße
    Anna

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