Leben mit der Angst im Nacken

John Greens Buch „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ berührt ein Thema, das mich selbst stark betrifft: Leben mit Angst.

Ich war 16, als ich das erste Mal ohne „Ankündigung“ in einem Kino ohnmächtig wurde. Das war selbst nicht weiter tragisch, aber dort begann meine Angst. Meine Eltern waren natürlich sehr besorgt und haben mich von Arzt zu Arzt gebracht. Ich weiß nicht mehr, was dort untersucht wurde, aber ich blieb ohne Diagnose. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemand das Wort „Angststörung“ erwähnt hätte, ein Arzt bot mir lediglich einen „Gesprächskreis“ an, was ich ablehnte, weil ich nicht wusste, was ich dort sollte.
Niemand sagte mir „He, das ist nicht ungewöhnlich, Heranwachsende haben hin und wieder mit Ohnmachtsanfällen zu kämpfen“. Stattdessen hatte ich das Gefühl, dass ich dieser potentiellen Ohnmacht hilflos ausgesetzt sei und ich jederzeit und überall einfach umkippen könnte.

Ich steigerte mich in eine Angst hinein, die immer schlimmer wurde. Und natürlich: je mehr ich mich verkrampfte, umso schlechter atmete ich, umso näher rückte das Ohnmachtsgefühl.
Ich versuchte, es unter den Tisch zu kehren. Sprach mit niemandem darüber (ich wäre sonst vermutlich ohnehin nur bei Arzt Nr. 15 gelandet), versuchte, so normal wie möglich zu leben, hörte aber ununterbrochen in mich hinein, ob mein Körper wieder das Ruder übernahm oder meine Gedanken ihn in Schach halten konnten.

Wirklich schlimm wurde es dann, als ich daheim auszog und mein Studentenleben begann. Hier musste ich ja nicht mehr funktionieren. Hier beäugte mich niemand kritisch und fragte „geht’s dir nicht gut?“. Ich konnte mich sozusagen meiner Angst komplett überlassen und alle Situationen meiden, die sich nicht gut anfühlten. Ich ging noch zu Vorlesungen, verließ sie aber, sobald es „ungemütlich“ in mir drin wurde“. Ich kapselte mich immer mehr ab, ging zu keiner Feier von Freunden und schließlich auch nicht mehr zum Einkaufen in die Stadt.

Irgendwann – ich muss so zwischen 26 und 27 Jahren alt gewesen sein – dachte ich „Ok, das kann so nicht weitergehen“. Doch statt Hilfe zu suchen, verschrieb ich mir eine eigene Verhaltenstherapie: ich begab mich bewusst in jede Situation, die sich unerträglich für mich anfühlte. Irgendwo hatte ich gelesen „die Angst kommt in Wellen“ und ich versuchte, sie über mich hinwegschwappen zu lassen – immer und immer wieder, bis ich merkte, dass sie weniger bedrohlich wurde. Mein Leben funktionierte nach und nach wieder, ich lernte, die Angst im Hintergrund zu halten.

Heute bin ich bei weitem nicht „angstfrei“ oder „geheilt“. Die Angst sitzt mir IMMER im Nacken, ich werde nervös, sobald sich mein Körper anders anfühlt als üblich. Aber ich habe gelernt, diese Angst als dauernden Begleiter zu akzeptieren und sie einigermaßen zu beeinflussen. Ich meditiere, um nicht in eine Gedankenspirale zu gelangen. Ich ernähre mich besser (Fett und Süßigkeiten fördern die Angst) und ich setze mich nach wie vor immer wieder bewusst Situationen aus, die mir Unbehagen bereiten.

Jemand sagte mal, ich sein ein sehr mutiger Mensch. Nun, ich bin mutig, weil ich mutig sein muss, weil ansonsten die Angst wieder die Kontrolle über meinen Körper übernimmt und ich das nicht möchte. Es fühlt sich schrecklich an, bedrohlich, dunkel.

Zurück zu Green: ich habe HIER gelesen, dass er selbst mit Angststörungen zu kämpfen hat. Ich frage mich allerdings: wenn er es selbst aus eigener leidvoller Erfahrung kennt, wieso spielt er es in seinem neuen Roman so herunter? Wieso lässt er Aza nicht mutiger werden, sie aus freien Stücken zur Therapie gehen, willentlich der Angst die Stirn bieten? Am Ende findet Aza sich zwar mit allem ab, aber wie sie dorthin gekommen ist, bleibt zu unklar, ist keine Hilfe für andere in ihrer Situation – und eine Zwangsneurose ist nochmal eine ganz andere Nummer als eine „einfache“ Panikattacke.

Ich hätte mir eine mutigere Protagonistin, mehr Augenmerk auf ihrer Geschichte als auf der ihrer Romanze gewünscht. Mut ist das erste Gegenmittel gegen die Angst. Man muss den Mut finden, sich ihr zu stellen und dann sollte man jede Hilfe in Anspruch nehmen, die man kriegen kann!

Seid mutig, lasst euch helfen!

4 Antworten auf „Leben mit der Angst im Nacken

  1. Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass du da allein rausgekommen bist. Bei mir wurde es erst im Berufsleben richtig schlimm. Ohnmächtig werde ich zum Glück nicht, aber ich fange an, unkontrollierbar zu heulen. Dummerweise gerade in Situationen, in denen ich mich eigentlich zusammenreißen will (muss). :-(

    1. Ich kann jetzt schlecht „gefällt mir „klicken, weil jede Art von Angst gefällt mir nicht. Aber ich finde es wichtig, offen darüber zu reden, sich einzugestehen, dass man Angst hat und einfach Wege zu suchen, damit klarzukommen. Nochmal würde ich das auch nicht ohne Hilfe machen, es hat mich ja locker mal 5-6 weitere Jahre gekostet, bis ich wirklich das Gefühl hatte „ok, hin und wieder hab ich noch eine Panikattacke, aber die geht vorbei und tritt eher selten auf“. Dir auch noch ganz viel Mut und Kraft auf deinem Weg!

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